Rückblende

Der Regen kam plötzlich. Noch am Mittag war nichts zu ahnen, heimlich und langsam schob sich die Wolkenwand vom Land aus in Richtung Meer. Am Strand suchten alle Abkühlung. Jedes Fleckchen Sand war belegt. Plötzlich erhob sich ein Windstoss und trieb kleine Wellen vor sich her an den Strand. Nach und nach blickten alle nach oben, wo sich der Himmel schlagartig verdunkelte. Die ersten packten ihre Strandtücher, Badeschuhe und Taschen und liefen in Richtung Hotel. Die unverzagten begaben sich in die Strandbar und sahen sich das Naturschauspiel an, die Wolkenwand, die über das Meer trieb und es tief blau färbte. Die Schaumkronen auf den Wellen, die in immer kürzeren Abständen an das Ufer brandeten. Der Strand leerte sich nur langsam. Plötzlich platzen die Wolken und ein Regenschauer ging über den Strand nieder. Alle flüchteten sich unter Sonnenschirme, in die Strandhütten und das Vordach der Standbar. Blitze durchzuckten den Himmel und in Sekunden waren diejenigen naß bis auf die Haut, die sich keinen Schutz vor dem Regen gesucht hatten. Hagelkörner mischten sich in die dicken Regentropfen. Es regnete sich ein. Langsam wurde es kühler, der Wind drehte und wehte feuchte Meeresluft an Land. Man fröstelte unter nassen Badehandtüchern und in durchweichter Kleidung. Die Kinder wurden unruhig. Sie fürchteten sich wohl ein wenig, im Zwielicht sah die Welt so anders aus als noch vor ein paar Minuten. Das sichere Hotel war weit weg und durch den immer noch starken Regen wollte man es nicht wagen, mit ihnen zu laufen. Die Rettung nahte in Gestalt eines Rettungsschwimmers. Dieser, aus Sicht der Kinder ein wahrer Arnold Schwarzenegger, watete durch die höher schwappende Brandung am Strand und stemmte den ersten Sonnenschirm aus seiner Verankerung. Er hielt ihn über seinen Kopf, so als sei es ein einfacher Regenschirm, und bot seinen Arm der Oma, die mit den Enkeln unter dem Vordach der Standbar stand. Die Kinder samt Oma wurden so durch den strömenden Regen zum Hotel eskortiert. Und das Heldenbild hat sich bis heute gehalten.

Sommergewitter

Lang ersehnt ist es endlich da. Plötzlich ändert sich das Licht. Wo eben noch die Sonne schien, wird es dunkel. Die Wolken quellen aus dem blauen Himmel hervor, schieben sich zusammen, eine nach der anderen, stapeln und türmen sich übereinander. Stille wo eben noch Vögel zwitscherten. Der Wind holt tief Luft, einmal, zweimal und bläst eine unglaubliche Sturmböe durch die Bäume. Äste biegen sich, Rosenblüten werden davon geweht und schon fallen die ersten Tropfen. Schwer klatschen sie auf die trockene Erde, rhytmisch prasseln sie auf die Dächer und erreiche ich das rettende Vordach erhellt auch schon das Wetterleuchten den stockfinsteren Himmel. Dem heranrollenden Donner schließe ich die Tür vor der Nase.

...

Schon an ihrer Stimme hörte ich, dass etwas nicht stimmte. Sie war aufgeregt. Die Stimme zitterte und drohte, sich jeden Moment zu überschlagen. Und richtig, nach der rituellen Begrüßungsfloskel rückte sie sofort damit heraus:
Warum bist du denn so früh gegangen? Wir haben uns ja alle gewundert. Es war doch so eine schöne Feier. Deine Schwester hat sich solche Mühe gegeben!
Jetzt war es also raus. Enttäuschung. Vorwürfe. Ich hatte alles falsch gemacht.
Aber Mutter, ich war doch da. Es war wirklich eine schöne Feier und ich habe mich gut unterhalten. Du weisst, ich war lange unterwegs und musst früh raus....
Aber nein, hier würden keine Argumente mehr helfen. Ich hörte sie schluchzen.
Wir sind um 5 Uhr morgens aufgestanden, um deiner Schwester die Kinder abzunehmen, und wir sind bis weit nach 10 Uhr abends geblieben. Es war so eine schöne Feier!
Ich war in einer Endlosschleife gefangen. Meine Gedanken wanderten zurück an jenen Sonntag, vor zwei Wochen, der Sie anscheinend immer noch beschäftigte. Ich war am Vorabend spät von einer einwöchigen Dienstreise aus dem Ausland zurückgekehrt, hatte am Sonntag in aller Frühe einer mehrstündige Zugfahrt auf mich genommen. War vor Ort ca. 8 Stunden geblieben, um mich dann auf den eben so langen Heimweg zu machen. Um am Montag früh rauszumüssen. Ich hatte in meinen Augen mein Soll erfüllt, war anwesend gewesen, Teil der Familie.
Mutter, ich habe mich wirklich lange mit meinem Patenkind beschäftigt, du weisst, beim Mittagessen und auf dem Spaziergang. Es war schließlich sein Tag. Später waren über 40 Leute zum Kaffeetrinken da, du hast doch auch gemerkt, dass ihn das eigentlich überfordert hat. Ich habe mich mit allen unterhalten und dann war es auch irgendwann gut.
Hier halfen keine Worte mehr. Ihr machte die Sache zu Schaffen. Jetzt sollte der schlimmste Vorwurf folgen.
Dein Bruder ist ja kurz nach dir gegangen. Der ist ja auch später gekommen. Das verstehe ich nicht, es war doch so eine schöne Feier und deine Schwester hat sich so eine Mühe gegeben.
Ich seufzte. Jetzt war es raus. Ich hatte mich nicht nur falsch verhalten, nein, ich hatte mich auch noch so verhalten wie mein Bruder. Der hatte falsch geheiratet und diese Frau war dabei. Und dann waren sie auch noch früher gegangen. Jetzt halfen keine Argumente mehr. Es ging nicht mehr um die Sache, es ging um tiefe Enttäuschungen. Die längst erwachsenen Kinder verhalten sich nicht so, wie die Mutter es gerne hätte. Und dieses Gefühl des verletzt werdens sitzt anscheinend tief. Wir gehen früher, wir tun nicht das, was sie für richtig hält - wir verlassen sie.
Obwohl wir sie schon längst verlassen haben.

Relevante Relevanz

Damals war es der Weltuntergang. Meine erste 5 in Englisch, meine erste 5 überhaupt. Ich traute mich nicht nach Hause. Ich fürchtete, meine Eltern würden mich mit Vorwürfen überschütten, mich nicht mehr lieben, mich hinauswerfen.
Damals war es das größte Unglück überhaupt. Unser Hund starb. Er war alt, er hatte ein schönes Hundeleben, aber ich würde nie wieder jemanden so lieben, so vermissen wie ihn. Wie würde ich einen Tag ohne ihn aushalten können, wie mich über das nach Hause kommen freuen, wenn er nicht auf mich wartete?
Damals war es das Ende. Ein kurzer Brief, nur wenige Zeilen. Es gäbe da jemanden anders, nun ja, es sei aus - Nie wieder würde ich mich verlieben, kein Mensch jemals wieder so eine Bedeutung für mich erlangen, ich würde nie wieder lachen können.

Davon war ich damals überzeugt.

Heute weiss ich, das Prüfungen vorbeigehen, Menschen und Tiere sterben und Liebe nicht für immer ist. Es ist schlimm und es mag weh tun, aber es geht vorbei. Diese relative Abgeklärtheit bedeutet nicht, dass ich nicht fürchte oder nicht liebe. Im Gegenteil. Andere Dinge besitzen ihren ganz eigenen Schrecken - neue Grenzen dürfen nicht überschritten werden. Bedeutungen wandeln sich - oder ich mich?

Wo?

Wohnst du nicht in dieser Stadt? Doch, du hast es mir gesagt.
Warum sehe ich dich dann nie, warum treffen wir uns nicht zufällig? Im Cafe, in der Straßenbahn. Wo bist du, während ich nach dir Ausschau halte, unauffällig, die Menge vor dem Bahnhof mit meinen Blicken absuche. Wo bist du?

Kinderspiele

Sie sind alle erfolgreich. Sonst hätten sie diese Positionen nie erreicht. Sie machen Karriere und geben alles dafür. Sie sehen alt aus, obwohl sie es nicht sind. Sie lächeln nie, und wenn doch, dann sieht es so aus, als würden sie die Zähne blecken. Sie geben sich unnahbar, hart und werden dadurch unglaubwürdig. Was sie wissen. Dieses Wissen macht sie unzufrieden und noch abweisender. Jeder Platz in ihrer Gruppe ist hart umkämpft. Alle müssen das Spiel mitspielen, wie damals auf dem Schulhof. Neue sind unerwünscht, neue gefährden die Alten.
Es ist ein Dschungel dort draussen. Im Dschungel ist jeder dein Feind.
Ich bin neu. Und ich habe einen Vorteil - ich muss ihr Spiel nicht mitspielen. Ich kann lächeln. Ich lächel jeden an, ich orientiere mich nicht an Status oder Aussehen. Ich bin offen und freundlich und

ich verunsichere sie.

Glück?

Damals muss ich meiner Mutter wochenlang in den Ohren gelegen haben. Es war Mitte der 1980er Jahre und ich in der Pubertät. Sonst nicht viel Wert auf mein Äußeres legend, hatte es mir jetzt ein Paar Turnschuhe angetan. Auch wenn zu jener Zeit nicht täglich neue schrille Modelle diverser Firmen auf den Markt kamen, diese hätten auch oder wieder heute Bestand. Aus Leder mit hohem Schaft und zeitgemäß mit schrillen rot-und-lila Mustern überzogen. Dazu natürlich neonfarbene Schnürsenkel. Zu einem Preis, dessen Gegenwert zu jener Zeit unsere vierköpfige Familie über Wochen problemlos ernährt hätte. Diese Summe von meinem Taschengeld zu finanzieren stand gar nicht zur Debatte, so verließ ich mich auf mein diplomatisches Geschick. Damals wie heute für mich eigentlich absolut unverständlich - ich bekam die Schuhe! Es war das erste Paar, dass ich freiwillig mindestens täglich putze und polierte. Ich liebte diese Schuhe und war überzeugt davon, dass ich in ihnen die Welt erobern könnte - wenn ich es nur versuchte. Ich nehme an, ich trug sie, bis sie mir von den Füßen fielen.
Heute kaufe ich mir Objekte meiner Begierde, ohne lange darüber nachzudenken. Ich muss niemanden fragen, zücke eine meiner Kreditkarten und verdränge beim Unterschreiben der Belege, dass der Preis eigentlich unverschämt ist. Entsprechend lange währt meine Freude an ihnen. Manchmal entdecke ich Pullis mit Preisetikett im Kleiderschrank - nie getragen.
Aber eben, als ich in der Dämmerung durch den Park lief und an mir hinunter blickte, überkam mich dieses Gefühl der stillen Freude und des Stolzes. Mit diesen neuen Laufschuhen, die mich noch strahlend weiss durch den Abend anleuchteten, mit ihnen werde ich Rekorde laufen. Ganz gewiss!

Gegensätze

Sie sitzen sich gegenüber in der Straßenbahn, anscheinend auf dem Weg in die Schule.
Die eine: lange braune Haare, die sie offen über der Schulter trägt. Ein knallrosa Rock, Mickey Mouse-Socken und einen neongrünen Rucksack.
Die andere: Ein Kopftuch, einen Sommermantel und eine unauffällige Hose.
Sie scheinen aus unterschiedlichen Welten zu kommen.
Was sie verbindet? Die Kopfhörer ihres iPods, die sie sich schwesterlich teilen, eine im linken, die andere im rechten Ohr. Und gemeinsam mitsummen...

Ein lachendes Gesicht

habe ich vor mir, wenn ich mich an Sie erinnere. Halblange, dunkelblonde Haare, durchschnittliche Größe, durchschnittliche Figur. Wir hatten wir nie viel miteinander zu tun, kannten uns kaum persönlich, sahen uns während der Ausbildung und auf einigen Feiern unter Freunden. Sie wird etwa in meinem Alter gewesen sein, inzwischen im Berufsleben, mit Plänen für den Sommer und ihre Zukunft. Ich werde sie nie wieder sehen, aber sie hat es geschafft, mir mit einem lachenden Gesicht in Erinnerung zu bleiben.
Ruhe in Frieden.

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