Ende
verschickt man mit ganz schwerem Herzen!
Lass und dann besser doch
vielleicht
getrennte wege gehen-
wir können uns
vielleicht
an anderer stelle wiedersehen.
auf dem Weg ist mir mein Anliegen abhanden gekommen.
Zu den Gegenstände, denen eine besondere Beziehung zu ihrem Bestitzer innewohnt, gehören sicherlich Bücher. Besonders in einer Generation, in der der Buchbesitz nicht selbstverständlich war. So zeugen Bücher von einer Person, auch wenn diese schon lange nicht mehr unter uns weilt. Anhand der Titelauswahl ist auf Interessen und Vorlieben zu schließen, anhand der Zustandes der Bücher darauf, was gerne und oft gelesen wurde. Vereinzelte Widmungen oder gar selbst verfasste Vorworte berichten von Orten und Ereignissen, die längt vergangen und vergessen sind. Ernüchternd ist es dann, den monetären Nicht-Wert dieser Bücher zu erfahren. Viel sinnvoller erscheint es, sie einfach herzuschenken in der Hoffnung, dass das eine oder andere einen neuen Leser findet, der es schätzt - obwohl die Zeit des Buches längt ebenso abgelaufen ist wie die des ursprünglichen Bestizers. Aber ach wie illusorisch...
Hallo.
Hallo ruft er. Durch die städtischen Hinterhöfe klingt es unnatürlich laut. Einfach nur Hallo. Die Gespräche in den Gärten ringsum verstummen. Man lauscht. Ein Kind ruft Hallo!. Ein Hallo als Antwort. Das Kind ruft kein zweites Mal. Die Gespräche werden wieder aufgenommen. In unregelmäßigen Abständen ertönt sein Hallo. Sonst nichts. Im immer gleichen Tonfall. Nicht fragend. Nicht mehr auf Antwort hoffend? Vielleicht um zu zeigen: Hier bin ich. Ich bin noch da. Ich weiss, dass ihr da draußen seid. Warum antwortet ihr mir nicht, kommt vorbei. Hallo.
Wir alle kennen das Hallo. An Sommerabenden ertönt es oft, so lange, bis die Pflegerin kommt und ihn vom Balkon des Altenheims wieder in sein Zimmer schiebt. Sie gibt ihm vielleicht die Illusion, dass sein Hallo nicht ungehört verhallt.
Schon an ihrer Stimme hörte ich, dass etwas nicht stimmte. Sie war aufgeregt. Die Stimme zitterte und drohte, sich jeden Moment zu überschlagen. Und richtig, nach der rituellen Begrüßungsfloskel rückte sie sofort damit heraus:
Warum bist du denn so früh gegangen? Wir haben uns ja alle gewundert. Es war doch so eine schöne Feier. Deine Schwester hat sich solche Mühe gegeben!
Jetzt war es also raus. Enttäuschung. Vorwürfe. Ich hatte alles falsch gemacht.
Aber Mutter, ich war doch da. Es war wirklich eine schöne Feier und ich habe mich gut unterhalten. Du weisst, ich war lange unterwegs und musst früh raus....
Aber nein, hier würden keine Argumente mehr helfen. Ich hörte sie schluchzen.
Wir sind um 5 Uhr morgens aufgestanden, um deiner Schwester die Kinder abzunehmen, und wir sind bis weit nach 10 Uhr abends geblieben. Es war so eine schöne Feier!
Ich war in einer Endlosschleife gefangen. Meine Gedanken wanderten zurück an jenen Sonntag, vor zwei Wochen, der Sie anscheinend immer noch beschäftigte. Ich war am Vorabend spät von einer einwöchigen Dienstreise aus dem Ausland zurückgekehrt, hatte am Sonntag in aller Frühe einer mehrstündige Zugfahrt auf mich genommen. War vor Ort ca. 8 Stunden geblieben, um mich dann auf den eben so langen Heimweg zu machen. Um am Montag früh rauszumüssen. Ich hatte in meinen Augen mein Soll erfüllt, war anwesend gewesen, Teil der Familie.
Mutter, ich habe mich wirklich lange mit meinem Patenkind beschäftigt, du weisst, beim Mittagessen und auf dem Spaziergang. Es war schließlich sein Tag. Später waren über 40 Leute zum Kaffeetrinken da, du hast doch auch gemerkt, dass ihn das eigentlich überfordert hat. Ich habe mich mit allen unterhalten und dann war es auch irgendwann gut.
Hier halfen keine Worte mehr. Ihr machte die Sache zu Schaffen. Jetzt sollte der schlimmste Vorwurf folgen.
Dein Bruder ist ja kurz nach dir gegangen. Der ist ja auch später gekommen. Das verstehe ich nicht, es war doch so eine schöne Feier und deine Schwester hat sich so eine Mühe gegeben.
Ich seufzte. Jetzt war es raus. Ich hatte mich nicht nur falsch verhalten, nein, ich hatte mich auch noch so verhalten wie mein Bruder. Der hatte falsch geheiratet und diese Frau war dabei. Und dann waren sie auch noch früher gegangen. Jetzt halfen keine Argumente mehr. Es ging nicht mehr um die Sache, es ging um tiefe Enttäuschungen. Die längst erwachsenen Kinder verhalten sich nicht so, wie die Mutter es gerne hätte. Und dieses Gefühl des verletzt werdens sitzt anscheinend tief. Wir gehen früher, wir tun nicht das, was sie für richtig hält - wir verlassen sie.
Obwohl wir sie schon längst verlassen haben.
Damals war es der Weltuntergang. Meine erste 5 in Englisch, meine erste 5 überhaupt. Ich traute mich nicht nach Hause. Ich fürchtete, meine Eltern würden mich mit Vorwürfen überschütten, mich nicht mehr lieben, mich hinauswerfen.
Damals war es das größte Unglück überhaupt. Unser Hund starb. Er war alt, er hatte ein schönes Hundeleben, aber ich würde nie wieder jemanden so lieben, so vermissen wie ihn. Wie würde ich einen Tag ohne ihn aushalten können, wie mich über das nach Hause kommen freuen, wenn er nicht auf mich wartete?
Damals war es das Ende. Ein kurzer Brief, nur wenige Zeilen. Es gäbe da jemanden anders, nun ja, es sei aus - Nie wieder würde ich mich verlieben, kein Mensch jemals wieder so eine Bedeutung für mich erlangen, ich würde nie wieder lachen können.
Davon war ich damals überzeugt.
Heute weiss ich, das Prüfungen vorbeigehen, Menschen und Tiere sterben und Liebe nicht für immer ist. Es ist schlimm und es mag weh tun, aber es geht vorbei. Diese relative Abgeklärtheit bedeutet nicht, dass ich nicht fürchte oder nicht liebe. Im Gegenteil. Andere Dinge besitzen ihren ganz eigenen Schrecken - neue Grenzen dürfen nicht überschritten werden. Bedeutungen wandeln sich - oder ich mich?
habe ich vor mir, wenn ich mich an Sie erinnere. Halblange, dunkelblonde Haare, durchschnittliche Größe, durchschnittliche Figur. Wir hatten wir nie viel miteinander zu tun, kannten uns kaum persönlich, sahen uns während der Ausbildung und auf einigen Feiern unter Freunden. Sie wird etwa in meinem Alter gewesen sein, inzwischen im Berufsleben, mit Plänen für den Sommer und ihre Zukunft. Ich werde sie nie wieder sehen, aber sie hat es geschafft, mir mit einem lachenden Gesicht in Erinnerung zu bleiben.
Ruhe in Frieden.
Damals war er der Schönste in den Clubs. Wenn er auftauchte, fanden ihn die Scheinwerfer wie von selbst und er tanzte in ihrem Licht. Er zog sie alle an, Männer wie Frauen. Wir gaben alles für sein Lachen, seinen Blick, seine Berührung. Den Abenden ohne ihn fehlte der Glamour, die Magie der Sehnsucht - und der Unerreichbarkeit.
Heute traf ich ihn in der U-Bahn. Das grelle Neolicht schmeichelte seinem hübschen Gesicht wie damals die bunten Scheinwerfer - doch er selbst hat seinen Glanz und seinen Zauber irgendwo auf dem Weg verloren.